Bosnien und Herzegowina

- von geheimnisvollen Stecci


Die geheimnisvollen Stećci - mittelalterliche Grabsteine der Bogomilen - verfolgte Gottesfreunde in Südosteuropa



Gerade wer intensiv in Bosnien & Herzegowina unterwegs war (oder ist) wird sich öfter die Frage gestellt haben, was es mit diesen wuchtigen Solitärsteinen auf sich hat. Wir bringen ein wenig Licht ins Dunkel:



Was Chatschkar für Armenien und Keltenkreuze für Irland sind, das sind Stećci für Bosnien und Herzegowina. Diese monumentalen mittelalterlichen Grabsteine unterscheiden sich nur geringfügig von ihren internationalen Äquivalenten und sind quasi das Markenzeichen des Landes, auch in Montenegro, Serbien und Kroatien findet man sie, allerdings nur in geringer Anzahl. Man schätzt, dass etwa 70.000 davon über die Länder verstreut liegen, vorwiegend im Südosten von Bosnien und Herzegowina, und normalerweise an nicht so ganz einfach zugänglichen Orten und in bester Lage, meist mit herrlicher Aussicht.

Oft befinden sie sich in einem schlechten Zustand - klar, sie sind auch bereits mehrere hundert Jahre alt. Aufgrund ihrer unschätzbaren historischen Bedeutung wurden 4.000 der mittelalterlichen Grabsteine, verteilt auf 28 Nekropolen, 2016 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. 22 der Nekropolen befinden sich auf bosnisch-herzegowinischem Boden, die am besten erhaltene Stätte ist Radimlja mit 133 Steinen. Boljuni, die größte Ansammlung, hat 274 Stećci.


Auch im Blidinje Naturpark gibt es größere Ansammlungen – und so manch sinniger Spruch ist auf den bemoosten Gräbern noch zu lesen: "Bitte störe mich nicht, ich war einst wie du und du wirst einmal sein wie ich!“

Wer kommt da nicht ins Nachdenken?





Die ältesten der Stećci lassen sich bis in das 12. Jhd. zurückdatieren, die meisten stammen aus dem 14. und 15. Jahrhundert, während der osmanischen Besatzung entstanden nur mehr wenige. Das Wort Stećak (Singular von Stećci) leitet sich ab vom altsüdslawischen Wort „stojećak“, das dem Verb „stajati“ (stehen) entstammt. Ein Stećak würde also wörtlich „ein großes, stehendes Ding“ sein. Es gibt jedoch nicht nur stehende Grabsteine, sondern auch liegende. Wie auch immer, sie waren alle aus massiven Kalksteinblöcken gearbeitet, in verschiedenen Formen gestaltet und mit religiösen und traditionellen Symbolen sowie kyrillischen Inschriften verziert. Die Steine sind erstaunlich groß und ein besonders wuchtiges Exemplar wurde auf 29 Tonnen geschätzt. Die Blöcke entstammen meistens Steinbrüchen in der Umgebung, dort kann man stellenweise noch halb ausgebrochene Steine vorfinden.

Durch Raubbau gingen besonders im 19. Jhd. viele Stećci verloren. Österreich-Ungarns Truppen nutzen viele der damals noch geschätzt 150.000 Steine als Baumaterial. Der Großteil der verbliebenen ist glatt behauen, nur wenige Tausend tragen Schmuckreliefs, und nur auf einigen Hundert wurden Inschriften eingemeißelt. Wind und Wetter haben über die Jahrhunderte viele Reliefs beinahe unkenntlich gemacht.

Der tatsächliche Ursprung der Stećci gibt aber bis heute Rätsel auf. Waren sie Zeugnisse bogomilischen Glaubens und Lebens? Oder sogar Mahnmale der Verfolgung durch die kirchliche Inquisition? Und wo sind die Dörfer, die Siedlungen, die einmal zu diesen nun einsamen Totensteinen gehörten?



Die Ursprünge dieser Bestattungstradition, wenn es überhaupt welche waren, wurden bis heute nicht eindeutig geklärt. Im Neretva-Tal begannen vertriebene Kroaten bereits im 7. und 8. Jhd. damit, reich verzierte Grabdenkmäler zu errichten. Ein Friedhof bei Konjic beispielsweise, mit Gräbern aus dem 10. bis 15. Jahrhundert, zeigt einen Übergang von einfachen Gruften hin zu Stećci-Grabsteinen. Insbesondere ab dem 12. Jhd., bis zur türkischen Invasion im 15. Jhd., wurden Stećci dann vor allem auf dem Gebiet des sich, zur damaligen Zeit ausdehnenden, Königreiches Bosnien errichtet.

Ihr Verbreitungsgebiet deckt sich weitgehend mit dem des Bogomilentums. Für die Erfassung des bogumilischen Siedlungsgebietes waren die alten Unterlagen der türkischen Verwaltung von unschätzbarem Wert. Danach siedelten die Bogomilen am Mittel- und Oberlauf der Neretva, am Oberlauf der Drina und vor allem in Zentralbosnien. Von der Küste her schob sich in das bogomilische Siedlungsgebiet das der Katholiken, das sich über Zentralbosnien bis zur Mündung der Drina in die Save erstreckte.



Aber wer waren die Bogomilen? Was glaubten sie und wie lebten sie?



Die Bogomilen wirkten über Jahrhunderte in der Balkanregion und weit darüber hinaus. Man nimmt an, ihr Ursprung liegt in Bulgarien, von wo sie sich vom 10. bis 15. Jhd. über den Balkan und Russland ausbreiteten. Sie waren eine streng asketische lebende christliche Religionsgemeinschaft, deren Mitglieder u.a. an einen mächtigen Teufel als Gegenspieler Gottes glaubten. Die Bogomilen lehnten Sakramente, die Taufe und die Verehrung von Ikonen ab. Der Name der Bewegung ist möglicherweise auf einen legendarischen bulgarischen Dorfpfarrer namens Bogomil zurückzuführen, oder aber auf die zu dieser Zeit herkömmliche slawische Weiheformel „Bog milui“ - „Gott erbarme dich“. Der Bogomilismus entwickelte sich seit dem 11. Jahrhundert in radikale und gemäßigte Richtungen, aber letztendlich geht man von einer zunehmenden Verfolgung der Bogomilen durch das klassische Christentum aus, was schließlich zu deren Untergang führte, sie waren einfach nicht mächtig genug.



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