Albanien - vom Mythos der Bunker


“Das Vaterland zu verteidigen ist eine Pflicht über allen anderen Pflichten.”



Dieser Propaganda Enver Hoxhas und seiner zunehmenden Paranoia liegt der Bau der weltweit meisten Bunker eines Landes zugrunde. Nach dem Bruch mit den sozialistischen Staaten des Ostblocks 1961, dem Austritt aus dem Warschauer Pakt 1968 und dem Abbruch der Beziehungen mit China 1978 befürchtete der Diktator die Besetzung des Landes und Invasion von allen Seiten. Jeder Wehrpflichtige wurde damals für deren Errichtung herangezogen. Für je 4 Personen war ein kleines Verteidigungsobjekt vorgesehen. Bei damals 3 Millionen Einwohnern entsprach das einer geplanten Anzahl von 750.000 Stück.


Die genaue Menge der tatsächlich erbauten Pillboxen ist nicht bekannt, vor wenigen Jahren schrumpfte man die Anzahl auf wenigstens 350.000 Stück, inzwischen haben sich die offiziellen Angaben bei 170.000 bis 200.000 eingependelt. Genau wird man es wohl nie wissen. Die meisten entstanden zwischen 1972 und 84. In dieser Zeit wurden auch Unmengen von Waffen, darunter selbst chemische, angehäuft.





Meist lagen die mehrere Meter in den Boden reichenden Gebilde in Dreiergruppen zusammen, durch einen schmalen Tunnel verbunden. Die Teile dafür wurden zentral vorgefertigt. Ihre Funktion erfüllten sie nie, Albanien war zu dieser Zeit ein uninteressantes Stück Land.

Neben den kleinen Pilzen entstanden aber auch große Mehrmann-Bunker und stollenartige, wie der über 650 Meter tiefe U-Boot-Bunker in Porto Palermo bei Himarë, der 3-stöckige Munitionsfabrikbunker im Berg bei Poliçan oder die Flugzeugkaverne in Gjadër bei Lezha. Hauptsächlich errichtete man die unverwüstlichen Gebilde in Küsten- und Grenznähe, in Flusstälern oder an Passübergängen.

Wieviel Stahl und Beton dafür letztendlich verschwendet wurde, hat noch niemand berechnet. Die enorme finanzielle Belastung dürfte aber jährlich mehrere Prozent des damaligen Nettoinlandproduktes betragen haben und hat die Wirtschaft enorm überbelastet. Das Material wäre für andere Infrastrukturprojekte nötiger gewesen. Heute sind sie hauptsächlich ein Ärgernis für die Landwirte und neuen Eigentümer der Grundstücke. Zudem verschandeln sie ihrer Meinung nach nicht nur die Landschaft, sie sind nur mit enorm großem Aufwand wieder zu beseitigen.

Einige Einfallsreiche haben die Ungetüme aber auch originell und farbenfroh zweckentfremdet, sie dienen als interessante Strandbars, Viehunterkünfte, Tatoostudios und Geräteschuppen, manche werden zu robusten Anlegestellen, kleinen Fischerhäfen oder Stegen im Meer verarbeitet.

Und sehr viele junge albanische Burschen und Mädchen verlieren in ihnen im Schutze der Dunkelheit ihre Unschuld.



Hier ein kleiner albanischer Bunkerguide:


Keq Marku Tattoo Art Studio nördlich der Stadt Shkodër. Wer mit eigen interpretierten Hygienevorschriften zurecht kommt, bekommt hier wahre Kunst auf die Haut. Und Keq Marku ist auch auf dem Papier ein Künstler und verkauft phantasievolle Gemälde.


Flugzeugkaverne in Gjader. Mit etwas Abenteuergeist - sprich ein Spaziergang über eine wackelige Holzbrücke und durch dichtes Gras und Gebüsche - hat man einen Blick auf den Eingang eines riesigen Tunnels im Berg, der Platz für 50 Düsenjets bot. Die militärische Einrichtung wurde 1969 mit chinesischer Hilfe gebaut. Die erst 1951 gegründete Luftwaffe nutzte die Basis bis 1993, in den Jahren darauf diente sie der Air Force. 

In den Kavernen lagern immer noch alte Fluggeräte. 


Küstenbunker bei Talë.   Ein imposantes Ensemble mit mehreren Arten von Bunkern bzw. Verteidigungsobjeketen. Vor Jahren war hier zusammen mit der Mainzer Uni ein touristisches Projekt geplant, leider ohne Erfolg.


BunkArt1 in Tirana. Die wohl eindrücklichste und bekannteste Bunkeranlage des Landes, ein kompletter unterirdischer Komplex über mehrere Ebenen, inklusiver Kinosaal. Spannend als Museum aufbereitet (https://bunkart.al/1/home).


BunkArt2 im Zentrum von Tirana. Dieser Luftschutzbunker diente hochrangigen Regimemitgliedern im Falle eines Atomangriffs als Zufluchtsort. Heute beherbergt er ein Museum, das die Geschichte des kommunistischen Regimes und die Rolle der Geheimpolizei, der Sigurimi, im Alltag der Albaner dokumentiert (https://bunkart.al/2/home).


Bunkeranlage bei Zvërnec. Nahe des modernen Leuchturms befindet sich ein großer Feuerkontrollbunker und eine riesige unterirdische Anlage mit mehreren Ausgängen oberhalb der schroffen Küste. Sehr spannend!


LLogara-Bunker oberhalb von Palasë. Unscheinbar etwas unterhalb des markanten Gebäudes mit den Graffitis befindet sich der Tunnelausgang einer riesigen Anlage. Der Ausblick damals war wohl nicht auf das herrliche Meer ausgerichtet, sondern auf den möglichen Feind.


U-Boot-Bunker bei Porto Palermo. Wohl eine der berühmtesten Anlagen, deren Rätsel lange Zeit darin bestand ob sich im 800 m langen Inneren immer noch U-Boote befinden. Dass er leer steht, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Besonders spannend ist auch der Ausgang zum Meer hin. Von vorne immer noch militärische Sperrgebiet, der Ausgang ist zugänglich.


Bunkeranlage bei Finiqe. Für uns definitiv ein Highlight was Bunker betrifft, die unterirdische Anlage ist zwar nicht sehr groß, doch die Aussicht vom Ausgrabungshügel Phoinike auf die Ebene hinter Sarandë einfach fantastisch.

 





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